10.10.2023
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 10/2023
Bayern vor Beginn der Sommerferien: von Ferienidylle keine Spur. Der Juli war um 2,6 Grad zu heiß; im Kreis Erlangen wurden zur Monatsmitte 38,8 Grad gemessen; die evangelische und die katholische Kirche haben zu einem Gletscher-Requiem auf die Zugspitze geladen; eine Wasserleitung vom Bodensee soll Nordbayern vor der Austrocknung retten; jüngste Daten zeigen: Die CO2-Emissionen Bayerns sinken nicht, sie steigen.
Auch der Wahlkampf läuft heiß. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa sendet klare Botschaften. Bayern ist beim Ausbau der Erneuerbaren Nummer 1, das Heizungsgesetz der Ampel ist dagegen Murks. Offen bleibt, wie Bayern bis 2040 emissionsneutral werden will, solange mit Gas und Öl geheizt wird. Der Gebäudesektor sorgt weiter für 40 Prozent der CO2-Emissionen
Kai Zosseder leitet an der TUM die Arbeitsgruppe Geothermie. Am Telefon erklärt der Wissenschaftler, womit Bayern künftig heizen könnte. Strom? Bayern wird ein Mangel- und Importland bleiben. Wasserstoff? Horrend teuer, rund ein Drittel der Energie ginge verloren. Biomasse? Man bräuchte riesige Flächen, die Landwirtschaft käme zum Erliegen.
Bleibt die Erdwärme, der „heimliche Star“ (Münchner Merkur) der Erneuerbaren. Erdwärme ist grundlastfähig, quasi endlos verfügbar und von Haus aus CO2-frei. Bayern hat Glück, dass es vor allem mit seinem Molassebecken südlich der Donau geologisch wie geschaffen dafür ist.
Mehr Geothermie: Das ist in Bayern Konsens, das wollen alle, Staatsregierung, SPD, Grüne, auch der Bund Naturschutz ist dafür. „Bayern ist Geothermieland“, schwärmt Umweltminister Thorsten Glauber (FW), „wir können Energiewende.“ Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) betont, Bayern sei bundesweit Vorreiter.
Auf den ersten Blick liest sich die Statistik beeindruckend. 42 Anlagen mit einer Bohrtiefe von mehr als 400 Metern (Tiefengeothermie) gibt es bundesweit, 25 davon stehen in Bayern. Europas Fachwelt verfolgt mit Interesse, wie konsequent die Stadtwerke München ihre Fernwärmestrategie umsetzen. Die Stadtwerke betreiben schon 6 Geothermieanlagen und sind jetzt dabei, ein Fernwärmenetz von gut 900 Kilometern Länge bis spätestens 2024 vollständig auf erneuerbare Energien umzurüsten. Davon profitieren automatisch alle Fernwärmekunden.
Wie gut München mit diesem Kurs fährt, zeigte sich auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Herbst 2022. Während halb Deutschland einer möglichen Gasmangellage entgegenzitterte, versicherte Peter Inselkammer, Münchner Hotelchef, Wiesnwirt und IHK-Ausschussvorsitzender, im IHK-Interview, er sei da ganz entspannt: „Wir müssen im Winter sicher keine Heizdecken ausgeben. Wir hängen am Fernwärmenetz.“
Umso schwerer ist das Gesamtbild zu verstehen. Bayern hat bislang noch zu wenig aus seinem Erdwärmepotenzial gemacht. Nur 0,5 Prozent des Wärmebedarfs werden mit Geothermie gedeckt.
Die Initiative „Wärmewende durch Geothermie“ will das ändern. Knapp 40 Geothermieversorger, Zulieferer, Bauunternehmen und Forschungseinrichtungen haben sich 2020 vereint, um der Erdwärme zum Durchbruch zu verhelfen.
Offensiv gehen derzeit diese 3 Macher aus der Branche voran: Helmut Mangold, Geschäftsführer der Innovative Energie für Pullach GmbH (IEP), Andreas Lederle, Chef der Erdwärme Grünwald GmbH, und Geothermiepionier Wolfgang Geisinger von der Geothermie Unterhaching GmbH & Co. KG. Das Trio hat auch mit IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl diskutiert. Gößl zeigte sich beeindruckt. „Geothermie bringt die Emissionen runter, ist eine grundlastfähige, also absolut verlässliche Energiequelle und würde das kleinteilige deutsche Heizungsgesetz regional überflüssig machen – zum Wohle der Wirtschaft und der privaten Immobilienbesitzer. Alles täte Bayern gut.“
Die Initiative will die Kommunen mobilisieren. Unter dem Motto „Von den Besten lernen“ traf man sich Ende Juli mit 40 Bürgermeistern und Gemeindevertretern. Das Geothermieheizkraftwerk der Erdwärme Grünwald in Oberhaching-Laufzorn war dafür die perfekte Location. Lederle empfängt dort häufig Besuchergruppen, auch eine Delegation aus der Mongolei war schon da.
Preisgekrönt ist die Anlage in Laufzorn („Goldenes Kraftwerk“), sie gehört zu den 2 effizientesten Heiz- und Kraftwerken Bayerns. Lederle hält Effizienz für das Killerargument. Vor den Bürgermeistern machte er die Rechnung auf. Die Wärmepumpe erzeugt aus einem Kilowatt Strom 3 Kilowatt Wärme. Schon das gilt als sehr guter Wert, bei der Tiefengeothermie sind es 35 – zehnmal mehr also. Laut Lederle spielt in Grünwald auch das Umfeld mit. Das Kraftwerk wird von den Bürgern akzeptiert. Großkunden wie die Bavaria Film GmbH ermöglichten den Ausbau des Wärmenetzes. Ukraine-Krieg und Energiekrise haben einen Nachfrageboom ausgelöst. 2022 war der Anschluss von 100 neuen Haushalten geplant, tatsächlich wurden es 423. „Das hat uns fast überrollt“, sagt Lederle.
Jahrelang war Geothermie nur ein Nischenphänomen. Gegen das billige Gas war sie chancenlos. Kraft-Wärme-Kopplung mit Erdgas oder Kohle wurde mit 40 Prozent subventioniert, die Geothermie so gut wie gar nicht. Nun hat die Bundesregierung wichtige Weichen neu gestellt. In zwei, drei Jahren müssen die Kommunen Wärmepläne auf den Tisch legen. Investitionen in Geothermie werden jetzt ebenfalls mit 40 Prozent gefördert.
Lederle sprach bei dem Treffen in Laufzorn von einem „Feuerwerk der Veränderungen“, doch einige Bürgermeister äußerten sich skeptisch. „Wie soll ich mit meinem Mini-Haushalt eine Investition von 180 Millionen wie in Grünwald stemmen?“, fragte einer der Teilnehmer. Da spiele auch die Rechtsaufsicht nicht mit. Beim Kaffee erzählte man sich von einem Amtskollegen, der vor der Tiefenbohrung Sekt und Schnaps gekauft hatte. Am Ende habe er Schnaps getrunken. Die „Schüttung“ von 5 Litern Heißwasser pro Sekunde reichte nicht, im Kraftwerk in Laufzorn sind es 120 Liter.
Wolfgang Geisinger kennt solche Rückschläge. Zur Eröffnung seines Geothermiekraftwerks in Unterhaching kam 2009 auch der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Gabriel nannte die Anlage „den Eisbrecher“ für die Geothermie.
Mit der Euphorie war es schnell vorbei. Das Kraftwerk galt als „Millionengrab“. Man forderte Geisinger auf, die Anlage an einen Investor zu verkaufen, das Geld wurde knapp – bis die Wende kam mit schwarzen Zahlen, Imagegewinn („Ein Dorf braucht keinen Gaspreisdeckel“) und 13.000 Kunden.
Unterhaching wird heute auch international als Geothermiepionier gefeiert. An einem kalten Wintertag spart die Anlage 100.000 Liter Heizöl ein. Geisinger sagte auf dem Netzwerktreffen, man habe sehr viel Lehrgeld bezahlt für Erfahrungen, von denen andere Geothermiebetreiber nun profitieren sollen. „Wir haben Lösungen“, versicherte er. Und Forderungen.
Die Initiative Wärmewende will von der Staatsregierung ein „Vertrauens- und Investitionssignal“ sehen. Ministerpräsident Söder, nie um einen Premiumanspruch verlegen, gibt sich bei der Erdwärme bescheiden. Der Geothermieanteil soll bis 2050 auf 25 Prozent des Wärmebedarfs in Bayern steigen. SPD und Grüne halten das für unterambitioniert. TUM-Forscher Zosseder erklärt, für die Metropolregion München sei eine Vollabdeckung machbar.
Eine Studie, die das Wirtschaftsministerium selbst in Auftrag gegeben hat, hält in Südbayern 40 Prozent für möglich. Für das laufende Jahr sind im bayerischen Etat 7,5 Millionen Euro für die Erkundung und 10 Millionen Euro für Forschungsvorhaben vorgesehen.
Mehr Geld gibt es nicht. Laut Wirtschaftsminister Aiwanger würde das gegen das EU-Beihilferecht verstoßen und auch „aus Gründen der Doppelförderung“ keinen Sinn machen. Er schlägt privates Investitionskapital als Lösung vor. TUM-Experte Zosseder meint, Investoren stiegen nur dann ein, wenn sich der CO2-Preis deutlich erhöhe.
Michael Remy, Klima- und Energiereferent beim Bund Naturschutz, sagt: „Ein guter Wunsch wird mit zu wenigen Maßnahmen hinterlegt.“ Dass nur eine Handvoll reicher Kommunen in die Geothermie einsteige, könne keine Lösung sein. Er bietet den Bürgermeistern Hilfe bei der Suche nach Ausgleichflächen an und schlägt einen „Geothermie-Investitionsfonds“ in Höhe von 500 Millionen Euro vor. Pro Jahr sollen weitere 100 Millionen in den Topf fließen, um die Bundesförderung um 20 Prozent aufzustocken.
Die Bundesregierung selbst weiß, dass sich die meisten Kommunen Geothermie nicht leisten können. Eine Bohrung kostet etwa 15 Millionen Euro. Wolfram Schweickhardt, stellvertretender Pressesprecher der Förderbank KfW, bestätigt, es gebe Gespräche über Geothermiekredite. IEP-Chef Mangold klagte auf der Infoveranstaltung über Wettbewerbsverzerrung. LNG-Terminals würden im Eilverfahren hingestellt, 200 Milliarden Euro Berliner Krisenhilfen seien in fossile Brennstoffe geflossen, „nur bei Geothermie wird gespart“.
Geothermie erfordere die höchsten Startinvestitionen, ergänzte Geothermiepionier Geisinger, das Risiko einer Fehlbohrung wirke abschreckend. Die Regierung müsse den Kommunen helfen – mit Ausfallbürgschaften, Bohrversicherung, einem Investitionsfonds, Testbohrungen oder der Bereitstellung von Daten über den geologischen Untergrund.
Wer in Oberbayern schon richtig klotzt, ist die EU. Sie fördert in Gelting bei Geretsried mit 91 Millionen Euro ein spektakuläres Projekt: die erste kommerzielle Nutzung der „Loop-Technik“ des kanadischen Unternehmens Eavor. Dabei wird ein spezielles Wassergemisch durch ein Röhrensystem im tiefen Untergrund geschickt. Das Wassergemisch kommt dann mit bis zu 120 Grad Celsius an die Erdoberfläche zurück.
Einsparen soll das Kraftwerk mit der „Geothermietechnologie der nächsten Generation“ von 2026 an jährlich 44.000 Tonnen CO2 und 20.000 Haushalte versorgen. Auch Eavor ist der Ansicht, Deutschland müsse für die Geothermie mehr tun. Management Assistant Kirstin Clausnitzer hält 2 Punkte für wichtig: analog zur Windkraft ein Erschließungsgesetz, das der Geothermie „überragendes öffentliches Interesse“ bescheinigt, und mehr Investitionen für den Ausbau der Fernwärmenetze. Besten Anlass, diese Botschaft an die höchsten Adressaten zu vermitteln, gab es vor wenigen Tagen: Zur offiziellen Einweihung der Anlage waren nicht nur die Bayernspitzen Söder und Aiwanger vor Ort, sondern auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Begleitung von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Mehr politische Aufmerksamkeit für oberbayerische Geothermie geht kaum.
Aber es liegt nicht nur am Geld, weshalb sich die Geothermiebranche immer noch im Gegenwind fühlt. Das zeigte sich am Ende der Veranstaltung im Juli beim Mittagessen im „Alten Wirt“. Die Traditionsgaststätte gehört zu den ersten Kunden der Erdwärme Grünwald. Bei Rahmschnitzel und Spätzle klagte Erdwärme-Chef Lederle über zu viel Bürokratie: „Uns wird es in jedem Punkt schwer gemacht.“ Schon die Grundstückssuche könne Jahre dauern, kein anderer Energieträger werde so hart reguliert.
Ein Geothermieprojekt tangiert Arten- und Biotopschutz sowie das Wasser-, Boden-, Bergbau- und Immissionsschutzrecht. Es braucht im Schnitt sechs Jahre, bis eine Anlage steht. Lederle hat dem Wirtschaftsministerium die Schaffung eines Fixtermins vorgeschlagen, an dem alle Genehmigungen vorliegen müssen. Aber auch da biss man auf Granit.
Trotz aller Frusterfahrungen bauen Oberbayerns Geothermiepioniere weiter aus. Grünwald investiert zusätzliche 75 Millionen, um 2 weitere Bohrdubletten zu finanzieren. Bis 2028 soll in Unterhaching der Vollausbau des Fernwärmenetzes stehen. Die Stadtwerke München werden bis 2030 eine Milliarde Euro in die Tiefengeothermie investieren. An der Schäftlarnstraße soll Europas größte Geothermieanlage entstehen. Bis 2040 soll Münchens Fernwärmebedarf CO2-neutral gedeckt werden.
Nicht nur die Geothermiebranche wartet jetzt gespannt darauf, was die neue Staatsregierung macht. Bohren wäre angesagt.